WAS  IST  DAS:  DIE  MITTELTÖNIGE  STIMMUNG?

"Was bedeutet die mitteltönige Stimmung für uns heute"
- Die mitteltönige Stimmung ist heute ganz ungewöhnlich. Sie ist kaum einem Musiker,
geschweige denn einem Laien vertraut.
"Also ist sie ein alter Zopf, der längst abgeschnitten und modernisiert wurde?"
- So kann wiederum nur der sprechen, der noch nie mitteltönige Musik gehört hat.
Diese Stimmung ist sehr wohlklingend. Es wird letztendlich auf die Frage hinauslaufen:
"Kann man denn ein Musikinstrument anders als rein stimmen?"

 Rein  oder  Nichtrein,  das  ist  hier  die  Frage!

- Darin liegt das ganze Problem der Stimmung eines Musikinstruments begründet.
Darf ich Ihnen eine kurze Einführung dazu geben?
In unserem musikalischen ABC, den Tönen und Tonschritten, hat sich seit der Zeit der alten Griechen die Tonleiter mit 12 Stufen herausgebildet. Die Töne heißen C, D, E usw. und wiederholen sich in der höheren und tieferen Oktave. Schon in der alten griechischen Musikkultur hatte man durch Versuche mit Saitenlängen herausgefunden, daß bestimmte Tonschritte (Intervalle) gut und rein klangen, wenn sie mit ganzzahligen Saitenlängen wie 2:3 oder 3:4 erzielt wurden. Die ersten Tonleitern wurden auf der Basis dieser Verhältnisse von reinen Quinten und Quarten aufgebaut. Aber nicht alle Tonstufen waren in reiner Form unterzubringen. Das spielte zunächst keine Rolle, weil man ja bis ins frühe Mittelalter einstimmig sang und musizierte. Auch konnte man die geringen Unterschiede mit der Singstimme gut ausgleichen.

Die  Terzen  galten  als  dissonant

Als im Mittelalter die Mehrstimmigkeit aufkam, fielen die Unreinheiten in der Stimmung auf. Die Terzen galten als unrein, dissonant. Die Unreinheit betrug nur 1/81, war aber für Musiker und Laien eine deutlich hörbare Dissonanz. Man fand den Ausweg in der sogenannten Mitteltönigen Stimmung, die auf 8 reinen Terzen aufgebaut ist. Das konnte man nur erreichen auf Kosten der reinen Quinten und Quarten. Es gab also eine Verschiebung der Unreinheiten von den Terzen auf die Quinten und Quarten, die aber im Zusammenklang der Harmonien nicht so störten wie vorher die unreinen Terzen. Mit dieser Stimmung blühte die neue Musik der Mehrstimmigkeit auf.
"Warum kennt man diese Stimmung heute nicht mehr? War sie doch nicht so gut?"
- Ja, die mitteltönige Stimmung hatte natürlich auch ihre Schwachstellen. So schön
sie im Zusammenklang von vielen Stimmen war, so wenig konnte man sie in   allen
Tonarten gebrauchen. Z.B. klang As-Dur miserabel und war unbrauchbar. Jeder Musikant
nahm schnell die Finger von den Tasten, wenn er sich in As-Dur verirrt hatte. Die Organisten
sagten: In As-Dur hört man den bösen Wolf heulen!

Wie  im  Paradies

So schön und rein man in 8 Tonarten musizieren konnte, so scheußlich klang As-Dur
und etwas weniger schlimm waren noch drei weitere Tonarten.
Das war ein Zustand wie im Paradies, wo die Pflanzen. Tiere und Menschen in voller
Harmonie mit der Natur aufwuchsen. Die Äpfel der vielen Bäume schmeckten herrlich,
sicher besser als mancher Apfel heute. Aber die Früchte eines   Baumes waren
verboten. Hätte es wirklich nicht genügt, diesen einen Baum links liegen zu lassen? Sie
kennen die Geschichte.
So geschah es in der Zeit der Aufklärung, daß einige Musiker versuchten, den Bereich
der guten Tonarten zu erweitern. Bald hatten sie auch die Tonart As-Dur brauchbar
gemacht. Das ging natürlich nur, weil man jetzt alle Unreinheiten gleichmäßig auf alle
Intervalle verteilte. J.S.Bach stand mitten in diesen Auseinandersetzungen über die neuen
Stimmungen. Er war noch aufgewachsen im mitteltönigen System, aber seine
Klavierwerke deuten darüber hinaus.
Einesteils hatte man viel erreicht, aber auch manches verloren. Der Wohlklang der
mitteltönigen Tonarten war dahin, aber auch die Charakteristik der Tonarten, durch die
die Musik erst richtig farbig und plastisch wirkte.

Der  böse  Wolf  heult  nicht  mehr

Jetzt konnte man zwar in allen Tonarten musizieren. Nirgends war mehr der böse Wolf zu
hören. Dafür waren nun viele kleine Wölfe überall gleichmäßig verteilt.
Diese neue Art zu stimmen, die "gleichmäßig temperierte Stimmung", ist seit etwa 250
Jahren im Gebrauch und zur Grundlage unseres heutigen Musiklebens geworden. Wir alle
haben uns von Jugend auf daran gewöhnt, daß wir die Unreinheiten der Intervalle nicht
mehr heraushören. Man kann es auch drastischer sagen: Unsere Ohren sind von Jugend
auf damit verdorben worden. Hören wir heute reine Klänge, kommen sie uns zunächst
fremd vor!

Die  einzigartige  Gelegenheit

In Torgau steht die Schloßkirche in der Nachbarschaft der Marienkirche. Die Verant-
wortlichen für den Orgelbau sahen hier die Gelegenheit, die alte Musik in ihrem ur-
eigenen Wohlklang der mitteltönigen Stimmung in der Schloßkirche zu hören, ohne auf
das breitere Spektrum der normalen Orgelstimmung in der großen Kirche verzichten zu
müssen.
Die Unreinheiten der Stimmungen hat Gott in die Welt der Töne gelegt. Erst in der
Ewigkeit werden wir die volle und reine Harmonie kennen lernen. Aber ein Stück des
Paradieses und der Ewigkeit können wir in Torgau erleben, wenn die Musik des Torgauer
Kantors Johann Walther wie zur Zeit Luthers erklingen wird.      
                                                       

                                                         Peter Vier