Senior Peter Vier erzählt:
Ein Abenteuer als junger
Orgelbauer
Ich
war einige Jahre bei der Firme Laukhuff beschäftigt. Als
Lieferant aller Orgelbauer hat diese Firma schon seit
jeher darauf verzichtet, Aufträge von Kirchengemeinden
direkt auszuführen. Deshalb sind nur wenige Mitarbeiter
dafür ausgebildet, Reparaturen und andere auswärtige
Arbeiten auszuführen. Wenn dann doch einmal eine solche
Arbeit auf die Firma zukommt, ist die Auswahl der
Mitarbeiter, die in Frage kommen, nicht allzu groß. Als
dieser Fall im Jahr 1957 eintrat, fiel die Wahl auf
mich.
Ein
selbständiger Orgelbauer hatte eine Orgel komplett,
einschließlich Namensschild, bei Laukhuff bestellt. Der
Termin war knapp geworden, Windladen und Spieltisch
waren schon verpackt, aber noch nicht alle Pfeifen
fertig intoniert. So wurden 1-2 Register unintoniert
eingepackt und fortgeschickt. Kaum war die Lieferung
dort eingetroffen, kam schon ein Hilferuf: "Der Aufbau
klappt nicht, bitte einen Monteur schicken, der die
Fehler beseitigt!"
Wie
gesagt, die Wahl fiel auf mich. Also richtete ich
einiges an Werkzeug zusammen, erkundigte mich nach den
Zeichnungen und was für Fehler da überhaupt auftreten
könnten. Nebenher erfuhr ich, dass einige Pfeifen nicht
vorintoniert werden konnten. So fragte ich auch den
damaligen Intonateur, Herrn Deeg, ob etwas besonderes zu
beachten wäre. Es fehlte an der Spillflöte 8', dem
einzigen 8'in diesem Manual. " Die muscht halt
aufschneide, dann gehen se schon."
So
packte ich noch Nachthemd und Zahnbürste ein und fuhr
wohlgemut mit meinem Motorrad los. Dort angekommen,
brachte mich der Orgelbaumeister mit seinem Sohn am
Nachmittag in die Kirche. Was sah ich da? Mir standen
die Haare zu Berge. Es ging gar nicht um die Beseitigung
von Fehlern, sondern überall lagen noch die Teile herum;
die Orgel war noch gar nicht montiert. Da war noch kein
Wind angeschlossen und kein Kabel angelötet, die Pfeifen
lagen noch in der Kiste. " Die Orgel machen Sie jetzt
ganz fertig! " sagte der Chef- " Ja aber," war mein
Einwand, " die Herren Laukhuff erwarten mich gleich
wieder zurück."-" Ich habe schon mit Laukhuff
telefoniert, die sind mit einverstanden!" erwiderte er
und verschwand. - So machte ich gute Miene zum bösen
Spiel und begann die Orgel fertig zu montieren. Jeden
Tag schaute der Chef mal für ein paar Minuten herein,
tat sehr geschäftig und "prüfte", ob ich auch alles
richtig mache. Also ergab ich mich in mein Los,
probierte Elektrik und Wind aus, stellte die ersten
Pfeifen rein, ja, und dann begann das Verhängnis: Die
Spillflöte 8' war zu intonieren. Das ist eine halb
zylindrisch, halb konisch offene Flöte, die einige
Besonderheiten aufweist, die ich damals noch nicht
kannte und die in keinem Lehrbuch nachzulesen sind.
Ich
begann also mit großer Zuversicht, die Pfeife am Labium
aufzuschneiden. (Ich durfte ja die Firma und mich selbst
nicht blamieren und zugeben, dass ich kein gelernter
Intonateur bin). Damals galt die Devise in der
Intonation: Aufschnitte so niedrig als möglich, umso
schöner wird der Ton. Den Aufschnitt begann ich also
noch unter 1/4, um einen schönen Ton hinzukriegen. Aber
oh Schreck, oh Graus, die Pfeifen krächzten nur und zwar
in vollkommen falscher Tonhöhe. Ich blies sie vorsichtig
mit dem Mund an. Es war kein Grundton zu hören, dafür
lauter fremde Töne, die in kein Schema passten. Ich
schnitt höher auf, klopfte dabei die Fußlöcher enger.
Jetzt kam ich der Sache schon näher. Beim Anblasen mit
dem Mund unter ganz verhaltenem Atem hörte ich annähernd
den Grundton, der die Grundlage des ganzen Manuals
werden sollte. Also schnitt ich höher auf, machte die
Augen zu, biss auf die Zähne und schnitt noch höher auf.
Ich hatte schon Angst, dass ich dabei den Aufschnitt zu
hoch machen könnte, dass man ihn wieder hätte zulöten
müssen. Denn das Löten war meine schwache Seite, auch
hatte ich gar kein Werkzeug dafür mitgenommen. Aber mit
dem hohen Aufschnitt von weit über einem Drittel (was
ganz entgegen der damals für mich gültigen Theorie war)
und kleinem Fußloch kam ich soweit, dass ich einen
annehmbaren Ton zustande brachte, der aber noch immer
von einer Reihe unharmonischer Obertöne begleitet war,
die ich mir nicht erklären konnte. (Seit damals weiß
ich, dass die Spillflöte, wie auch ähnliche Bauformen,
nicht die übliche Reihe von Obertönen erklingen lassen,
sondern eine ganz unharmonisch zum Grundton passende
Obertonreihe. Aber das findet man auch heute noch nicht
in einem Theoriebuch). Ich musste also höher
aufschneiden und bekam auf diese Weise die Spillflöte so
hin, dass man sie gebrauchen konnte.
Und
dann wurde ich angehalten, alle anderen Register ebenso
fertig zu intonieren und zu stimmen. Darüber kam das
Wochenende, an dem ich längst wieder nach Weikersheim
zurück fahren wollte.
Der
Orgelbauer machte mir einen gemütlichen Sonntag. Wir
fuhren in verschiedene Ortschaften in der Umgebung und
machten Weinproben (wo ich doch gar nicht trinkfest
bin). Dabei ließ er unter vier Augen durchblicken, er
hätte noch eine Tochter in heiratsfähigem Alter (die
natürlich im Auto an meiner Seite saß) und er könnte
sich gut vorstellen, dass ich als Schwiegersohn bei ihm
eine gute Karriere machen könnte. Da habe ich gewusst,
woher der Wind weht, und habe in der kommenden Woche so
schnell ich konnte die Arbeiten abgeschlossen und mich
in der Firma Laukhuff zur Stelle gemeldet
Veröffentlicht in der Festschrift zum 175jährigen
Bestehen der Fa Laukhuff
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